Europäische Entscheidungen beeinflussen mehr und mehr nationales Arbeitsrecht
Anwälte können es sich nicht mehr erlauben ausschließlich das nationale Recht anzuwenden. Ein im Arbeitsrecht beratender Anwalt muss die Entscheidungen des EuGH zwingend im Auge behalten will er nicht nur Haftungrisiken minimieren, sondern auch eine gute Beratungsleistung erbringen. Auch die Deutschen Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung nationalen Rechts zunehmend Europarecht zu beachten. Dies führt immer wieder zu Vorlagen an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens.
Sinn und Zweck
Das Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ist das wichtigste Verfahren und dient der einheitlichen Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts.
Verfahrensablauf
Jedes nationale Gericht ist zunächst verpflichtet, in anhängigen Verfahren zu prüfen, ob vorrangige Regelungen des Gemeinschaftsrechts zur Anwendung kommen.
Wenn ja dann ist das nationale Gericht verpflichtete das Gemeinschaftsrecht in eigener Verantwortung auszulegen, anzuwenden sowie ggf. nationales Recht gemeinschaftskonform auszulegen.
Bestehen Zweifel oder Unklarheiten zur Gültigkeit oder Auslegung des Gemeinschaftsrecht, kann das nationale Gericht das anhängige Verfahren aussetzen und den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahren anrufen.
Vorlageberechtigung
Nur die nationale Gerichte „können“ den EuGH anrufen, wenn in einem anhängigen Rechtsstreit Fragen des Gemeinschaftsrecht aufgeworfen werden, deren Beantwortung das erkennende Gericht für die Entscheidung für erheblich hält.
Vorlageverpflichtung
Die nationale Gerichte „müssen“ den EuGH anrufen, wenn die Entscheidung des nationalen Gerichts selbst nicht mehr mit Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann oder wenn sekundäres Gemeinschaftsrecht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht als ungültig ansehen und deswegen außer Acht gelassen werden soll. Dem EuGH kommt insoweit ein Verwerfungsmonopol zu.
Gegenstand
Das Vorabentscheidungsverfahren ist auf Normen des Gemeinschaftsrechts beschränkt, d.h. der EuGH ist nicht berechtigt nationales Recht auszulegen oder anzuwenden. Der EuGH entscheidet nicht den Ausgangsrechtsstreit, die Entscheidung hierüber ist allein dem nationale Gericht vorbehalten.
Bindungswirkung
Grundsätzlich bindet die EuGH Entscheidung nur das anfragende Gericht, dessen Urteil wiederum theoretisch nur für den entschiedenen Fall gilt.
Über das Ausgangsverfahren hinaus kommt der Entscheidung nur verbindliche Wirkung zu, wenn die Ungültigkeit einer Norm des Sekundärrechts festgestellt wurde.
Faktisch jedoch geht die Bindungswirkung des EuGH Urteils weit über den einzelnen Sachverhalt der zur Vorlage geführt hat hinaus, da die nationalen Gerichte nicht ohne erneute Vorlage von der Rechtsprechung des EuGH abweichen dürfen und dieser ansonsten folgen müssen. Den Entscheidungen des EuGH kommt damit eine präjudizielle Bindungswirkung zu.
Beispiele für wichtige Entscheidungen des EuGH in jüngerer Zeit mit Auswirkungen auf das nationale Arbeitsrecht:
- die sog. „Junk“ Entscheidung (EuGH Urteil vim 27.1.2005 Rs. C-188/03 zum maßgeblichen Zeitpunkt für eine Massenentlassungsanzeige sowie
- die sog „Mangold“ Entscheidung (EuGH 22.11.2005 Rs. C-144/04 wonach die ursprüngliche Altersbefristung in §14 III TzBfG gemeinschaftsrechtswidrig ist und unangewendet bleiben muss.
Beispiele wo Entscheidungen des EuGH in absehbarer Zeit für das nationale Arbeitsrecht noch bedeutsam werden könnten:
- Berechnung von Kündigungsfristen: Sind Kündigungsfristen, die auf das Alter abstellen haltbar? Wie werden die verlängerten Kündigungsfristen i.S.d. §622 II BGB im Hinblick auf S.2 berechnet?
- Kündigungen: Wie ist der Widerspruch aufzulösen, dass das AGG Diskriminierungen wegen des Alters verbietet, das KSchG zugleich aber die Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl verlangt?
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